Theodor Alescha
Theodor Alescha
von Günter Düriegl

Theodor Alescha muss nicht entdeckt werden. Sein Werk ist bekannt und nimmt seinen unverzichtbar gültigen Platz in der österreichischen Kunst ein. Auch Aleschas Leben ist bekannt: Wiewohl geschlagen von jener Düsternis des zwanzigsten Jahrhunderts, die Martin Buber erschreckend wahr als „Gottesfinsternis“ erkannte, verteidigte Theodor Alescha sein in der Jugend gewonnenes Ideal des humanistischen Sozialismus Zeit seines Lebens. Bestärkt in dieser Weltsicht wurde der vielsprachig redegewandte, auch die Musik liebende Maler durch seine geradezu leidenschaftliche Reisesfreude, aber auch durch seine persönlichen Begegnungen und Kontakte mit Menschen, die an der Kultur des zwanzigsten Jahrhunderts Anteil hatten.

Theodor Alescha war auch einer jener, die des satten Behagens in der Welt der „belle époche“ überdrüssig waren, an deren innerer Unwahrhaftigkeit sie zornig litten. „Auf einem Sessel will ich sitzen können,“ war der aufgebrachte Aufruf des Architekten Adolf Loos gegen die Scheinwirklichkeit der Zeit, deren unehrliches Sein er im „Verbrechen,“ im „Charakterfehler“ des Ornaments erkannte. Viel breiter angelegt war der Angriff, den Karl Kraus in seiner „Fackel“ begann und durch Jahrzehnte unermüdlich fortführte. Anders als Loos wollte er nicht nur die Kunst revolutionieren, sondern die ganze herrschende Gesellschaft mit ihrer wirklichkeitsverfälschenden Moral, ihrer gefälligen Presse und ihrer zynischen Politik im Innersten treffen.

In Frankreich machten George Sorels „Gedanken über die Gewalt“ Aufsehen. Er sagte nichts weniger voraus als ein Zeitalter der Kriege und der Anarchie, eine Epoche nicht zu zügelnder Massenbewegungen, in der die Vernunft von sozialen Kunstmythen abgelöst und die mythengesteuerte Gewalt die Mutter aller politischen Ereignisse werden würde. Abwertung der Wahrheit und der Wissenschaft, ein Geschichtsabschnitt, geleitet von der Dynamik des Massenwahns, Untergang der Persönlichkeit im Kollektiv und damit das Ende des Zeitalters bürgerlicher Humanität, das war Sorels Prophetie, und die sollte in schreckliche Erfüllung gehen.

Auch in den Künsten vollzog sich die Absage an die „gute alte Zeit.“ Dieser setzten die Sezessionisten ihren jugendlichen „Heiligen Frühling“ entgegen, Filippo Tommaso Marinetti sein „Manifest des Futurismus.“ Geladen mit Ressentiments, lächerlich in seinen Forderungen, entsprach es in seiner primitivsten vitalistischen Rauschhaftigkeit so sehr dem nachkommenden Faschismus in seiner pathetischen Rhetorik, dass Marinetti später von Mussolini zum Präsidenten der Akademie ernannt wurde.

Denn er verkündete als erster in Italien die Forderungen nach gefährlichem Leben, wollte ein neues Italien und war schon lange vor den Schlägerbanden im Schwarzhemd bereit, es mit Gewalt zu erzwingen. Er war gegen Demokraten, für Rennautos, gegen Museen, für die Schnelligkeit, gegen den Pazifismus, für den Wahnsinn. Die Futuristen wollten nicht nur die Kunst, sie wollten das Leben ändern. Sie philosophierten nach Nietzsches Programm „mit dem Hammer,“ und obschon viel von ihrem Pathos nur absurd war, war ihre ganze Erregtheit symptomatisch für den Geist der Zeit.

Die Überwindung der Gegenwart liest sich bei Wassily Kandinsky so: „Die neue Kunst schafft sich neben der wirklichen Welt eine neue, die äußerlich nichts mit der Wirklichkeit gemein hat. Sie ist dem Gesetz des Universums unterworfen.“ Nach Paul Klee „schilderte man früher Dinge, die man gerne sah oder gesehen hätte. Jetzt wird die Realität der unsichtbaren Dinge offenbar gemacht, und dabei dem Glauben Ausdruck verliehen, dass das Sichtbare im Verhältnis zum Weltganzen nur ein isoliertes Beispiel ist.“

Hier setzte dann auch der Expressionismus als Antirationalismus, als Wirklichkeitszertrümmerer, als Radikalismus der bis an die Wurzel gehen wollte, an. Malerei und Dichtung waren eins in ihrem Schritt „bis dorthin, wo sie nicht mehr individuell und sensualistisch gefärbt, gefälscht, verweichlicht, vernichtbar in den psychologischen Prozess verschoben werden können, sondern in akausalem Dauerschweigen des absoluten Ich der seltenen Berufung durch den schöpferischen Geist entgegensehen“ (Gottfried Benn). Unausgegoren und bubenhaft halbwüchsig wie bei Georg Heym, der einmal notierte, er wolle Kürassier oder Terrorist werden, gütig und menschheitsbrüderlich wie in der „Weltfreund“-Dichtung Franz Werfels, melancholisch wie bei Georg Trakl, mystisch wie bei Franz Kafka, hochintellektuell wie bei Gottfried Benn, so konnte der Expressionismus sein. Schockieren wollte die neue Kunst und den satten Wirtschafts- und Kulturbürger in die wirkliche Wirklichkeit rufen. Nach dieser verlangte die Jugend, die mit Franz Werfel fühlte:

„Fremde sind wir auf der Erde alle, und es stirbt, womit wir uns verbinden.“

In Deutschland entstand die Gegenbewegung, die Schwarmgeisterei des „Wandervogel,“ als Aufstand des Naturerlebnisses gegen die Zivilisation, als Absage an den bürgerlichen Lebensgenuss in den „Kerkermauern“ der Großstadt, als Bekenntnis zur Einfachheit der Lebensführung, als Aufbruch in ein neues Leben in erfühlbarer menschlicher Gemeinschaft. Es war Sehnsucht nach Verinnerlichung und Naturverbrüderung, der Gottfried Benn die Worte gab: „Oh, so möchte ich wieder werden: Wiese, Land, blumendurchwachsen, eine weite Flur. In lauen und kühlen Wellen trägt einem die Erde alles zu. Keine Sterne mehr. Man wird gelebt.“

Sie fühlten sich im Recht, dem Geist zu misstrauen, den sie für diese Welt verantwortlich machten. Theodor Lessing prophezeite den „Untergang der Erde am Geist,“ Ernst Jünger schmähte den Geist „Hochverräter gegen das Leben,“ und Oswald Spengler machte ihn verächtlich, weil er ihm das „beständige Neinsagen zur Wirklichkeit“ vorwarf.

Trunken von diesem Aufstand der Intuition gegen den Verstand stürzten sich die Menschen berauscht in den Ersten Weltkrieg und zerbrachen in einem mörderischen Geschehen, das alles übertraf, was sie bisher gekannt hatten. Ihre Welt zerbrach mit ihnen.

Aus diesem Zusammenbruch schlugen Rattenfänger ihr Kleingeld: Bolschewismus und Stalinismus, Faschismus und Nationalsozialismus stürzten den Menschen in jene Sinnkrise, die unser Dasein noch immer bestimmt. Wir glaubten sie bereits gelöst, nachdem auch der Zweite, die Welt umspannende Krieg durchlitten und der letzte europäische Totalitarismus in sich zusammengestürzt war. In Wahrheit aber war die Sinnkrise nur verdeckt oder beiseite geschoben. Denn unsere Weltsicht beschränkt sich darauf, alles und jedes nach dem materiellen Nutzen zu bewerten und vordergründige materielle Geordnetheit mit Ordnung des Seins gleichzusetzen.

Um den „Neuen Menschen“ also wurde das ganze zwanzigste Jahrhundert hindurch gerungen, er war Ziel, Zweck und Wollen allen Tuns und Handelns, errungen wurde er nicht.
Auch Theodor Aleschas Werk ist Teil dieser Vision. Alescha war ein wissender Kenner der Malerei seiner Zeit und ihrer Wurzeln. Seine Bilder führen über Pleinair, Impressionismus, Postimpressionismus, Fauvismus, Expressionismus auch Kubismus und Futurismus hinaus, zu einem magischen Realismus der der Neuen Sachlichkeit auffallend nahe steht, und den Symbolismus gar nicht leise anklingen lässt: So sehr Alescha das ihm Entscheidende abbildet, so sehr wird es zum Sinnbild mit tiefem Inhalt.

Theodor Alescha erlebte intuitive Verbundenheit mit den „Leaves of Grass“ von Walt Whitman, in „Jean Christophe“ von Romain Rolland konnte er sich wiederfinden, Anatolij W. Lunatscharskij machte mit seiner Deutung von sozialistischer Kultur tiefen Eindruck auf ihn:

„Die sozialistische Kultur der Zukunft ist die allgemein menschliche außerhalb der Klassen stehende Kultur, eine harmonische und ihrem Typus nach klassische Kultur, in der der Inhalt, der sich durch einen gesunden organischen Prozess gebildet hat und sich weiterentwickelt, eine ihm vollständig entsprechende Form erhält.“

Vorliegender Text ist das Vorwort von Günter Düriegel in der Monographie über Theodor Alescha

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